Xiangqi in Braunschweig

Chinesisches Schach zwischen Harz und Heide

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Magdeburg-Nachlese

Verfasst am Donnerstag, 7. Juni 2007 von Andreas Klein

Besser spät als nie. Als verspätete Nachbereitung des Magdeburger Turniers und als Vorbereitung in letzter Minute auf Gießen habe ich mir ein paar Gedanken zu meiner Partie gegen Robert Offinger gemacht. Einige dieser Gedanken sind wie üblich maschinell unterstützt, an den entsprechenden Stellen wird jeweils darauf hingewiesen. Die unkommentierte Version findet ihr zum Nachspielen auf meiner Partienseite oder im Bulletin.

Die Partie wurde in der letzten Runde gespielt und entwickelte sich zur letzten des Turniers. Nach der Eröffnung war das nicht zu erwarten, denn nach einem frühen Figurenopfer, das ich zu keinem Zeitpunkt rechtfertigen konnte, stand ich die ganze Partie über mit dem Rücken zur Wand. Robert konnte aber im Mittelspiel den Sack nicht zumachen, so dass es schließlich zu einem Endspiel kam, in dem er genau diese geopferte Figur mehr hatte, aber auch nicht mehr. Die Kenntnis einer technischen Remisstellung rettete mir dann den halben Punkt. Aber der Reihe nach:

Rot: Andreas Klein (142)
Schwarz: Robert Offinger (164)

1. Khe3 Khe8

Die richtungsgleiche Mittelkanone. Rainer Schmidt schreibt dazu in “Xiangqi - Eröffnungstheorie des chinesischen Schachs” (Berlin 1986): “Die älteste Schacheröffnung (das Wort hier im abendländischen Sinn gebraucht) der Welt, die noch heute gespielt wird und auch sinnvoll gespielt werden kann! Sie beantwortet den Angriff mit einem Gegenangriff und fürchtet sich nicht vor dem Schlagen des Mittelsoldaten (Ke4xe7), was bei besonnenem Gegenspiel immer zum Nachteil für Rot ausschlägt, weshalb man diesen Zug bei Fortgeschrittenen niemals sieht. Sie schafft dem Nachziehenden die gleiche Ausgangssituation, doch ist sie “scharf”: ein nachlässiger Zug führt gleich zur Niederlage.”.
2. Wi2
Üblicher ist es, zunächst das Pferd nach g3 und danach den Wagen senkrecht nach h1 zu entwickeln. Ich habe mich auf die waagerechte Entwicklung eingeschossen, nachdem ich einige klassische Kurzpartien mit dieser Fortsetzung gesehen habe, dazu gleich mehr. Warum aber erst 2. Wi2 anstatt 2. Pg3 und 3. Wi2, was ja immerhin auch den Se4 deckt? Ursprünglich habe ich das auch so herum gespielt, aber nachdem mir meine Gegner immer häufiger mit 2. Pg3 Wi9! mit der waagerechten Entwicklung zuvorkamen, bin ich auf 2. Wi2 umgestiegen.

Bleibt noch die Frage, warum man auf die Deckung des Se4 verzichtet? Oder noch einen Halbzug zurück: warum nimmt Rot hier nicht selbst mit 2. Kxe7+ einen Soldaten, gleich noch mit Schach? Das Problem dabei besteht in dem Tempoverlust, den die rote Kanone erleiden wird, wenn Schwarz mit Le9 das Schach abgewehrt hat und dann mit Pc8 oder Pg8 seine Figuren entwickelt. Rot gibt quasi seinen Anzugsvorteil ab, was durch einen einzigen Soldaten nicht aufgewogen wird.

Robert Lin zeigt in seiner Einführung “Chinese Chess” (Hongkong 1991) folgende beispielhafte Variante: “Es verspricht Rot keinen Vorteil, den Mittelsoldaten im zweiten Zug zu nehmen, weil er eines oder mehrere Tempi verlieren würde. Man sehe: 2. Kxe7+ Lde9 (nicht 2.- Kxe4?? 3. Ke5!, gefolgt von Pg3, und Rot hat nach dem Angriff auf die Kanone gewinnbringenden positionellen Vorteil!) 3. Ke3 Pg8 4. Ke5 Pc8 5. Pg3 Wh10 6. Pc3 Wb10 7. Wb1 Kb4. Die schwarzen Figuren sind besser entwickelt. Daher lehnt Rot normalerweise den angebotenen Gambitsoldaten ab.”
2.- Pg8 3. Pg3 Wh10 4. Wd2 Lfe9
Die häufigste Fortsetzung ist hier 4.- Wh6. Die oben erwähnten Kurzpartien entstehen alle nach dem zu gierigen 4.- Wh4, hier nur ein Beispiel: 5. Wd9 Pa8 6. Wa2 Kxb1 7. Kb8 Ph10 8. Kxe7+ Lfe9 9. Wad2 Ff10 10. Wxd10+ Lxd10 11. Wf2+ Kf8 12. Wxf8+ Fe10 13. Kbe8#. Schwächer als Lfe9 dürfte auch 4.- Lde9 sein, weil das dem Feldherrn kein Fluchtfeld macht, z.B. 5. Wd9 Pa8 6. Wa2 Kxb1 7. Kb8 Pi9 8. Kxe7 Wb10 9. Wad2 Kxd1 10. Fxd1 1-0 (kleineme (1632) - vnpalace (1551), 20-Minuten-Partie, CXQ 27.5.2007).
5. Wd9 Pa8
Pa8 pariert die Drohung Wb9, die eine Figur gewonnen hätte. Das nun folgende Figurenopfer ist natürlich durch die klassischen Beispiele inspiriert, aber vermutlich im Gewinnsinne nicht korrekt, weil hier Lfe9 mehr zur Verteidigung beiträgt als dort Wh4. Gespielt wurden hier am häufigsten Wb9, mit Angriff auf die Kanone und Besetzung der b-Linie, sowie Sa5, was die Befreiung des schwarzen Randpferdes durch Sa6 erschwert.

Klein - Offinger nach 5.- Pa8

6. Wa2 Kxb1
Auch wenn vermutlich die Annahme des Opfers für Ausgleich ausreicht, so hat doch Chen Fazuo bei der EM in Haarlem gegen mich nicht lange an Kxb1 überlegt und stattdessen 6.- Kbd8 gespielt (und schnell gewonnen).
7. Kb8 Kb3!
Schwarz darf natürlich das Pg8 nicht wegziehen, weil dann 8. Kxe7 unangenehme Drohungen aufstellt. Die möglichen Folgen waren in den Anmerkungen zum vierten Zug zu sehen.
8. Kxg8 Kxg3 9. Kxe7 Wh8

Klein - Offinger nach 9.- Wh8

10. Wad2??
Ganz schwach. Die richtige Fortsetzung ist allerdings ein wenig langzügiger: 10. Wf2 Wxg8 11. Wd3 (droht vor allem 12. Wdf3 nebst Wf10#) 11.- Ei8 (um mit Wg10 der Mattdrohung zu begegnen) 12. Wxg3 Pb10 13. Wgf3 Wg10 14. Wf7 (verhindert späteres Pc8-e7) 14.- Pc8 15. Ke5 Sc6 16. W2f6 (verhindert Pd6 und droht 17. Lfe2, 18. Ff1, 19. Wf10 nebst Matt) 16.- Sa6 (mit der Idee Wa7) 17. Wc7 Pa7 18. Wcf7 Pc8 19. Wc7 mit einer erlaubten Zugwiederholung. Am Brett habe ich schon über 11. Wd3 nicht nachgedacht, aber auch zu Hause ist mir das ganze Manöver erst von der Kiste zugeflüstert worden, und selbst XieXie findet die Variante nicht von der Diagrammstellung aus, sondern erst nachdem man ein paar Züge vorgegeben hat.
10.- Ff10
Erst jetzt fiel mir auf, dass Schwarz nach Wf2+ nicht mit dem Feldherrn nach e10 zurück muss, wonach Wf8 geplant war. Aber auch nach langem Nachdenken fand ich keine vernünftige Fortsetzung, so dass ich ab hier ohne rechte Kompensation eine Figur weniger habe. Nach nur zehn Zügen drückt das ein wenig auf die Stimmung.
11. Wf2+ Kf8 12. Kg9 Wb10 13. Wd3 Kh3 14. Wh2 Kh6 15. Ke5 Wb4 16. Wc2
Das hätte eigentlich der letzte Sargnagel sein müssen. So passiv darf man seinen Wagen nicht hinstellen, nur um einen luschigen Soldaten zu decken. Entscheidend ist dabei vor allem, dass der Wagen auf h2 sowohl die Kh6 als auch den Wh8 unter Kontrolle hält. Jetzt spielen beide wieder mit, wonach die rote Stellung zusammenbrechen müsste.
16.- Ke6 17. Ece3 Kxe4+ 18. Lde2 Wh5 19. Kc5

Klein - Offinger nach 19. Kc5

19.- Ege8
Die Kiste zeigt zwar ohnehin schon entscheidenden Vorteil für Schwarz an, aber hier fängt sie richtig an zu blinken. Hübsch wäre 19.- Kc8! gewesen, was die f-Linie für den Feldherrenblick freimacht, z.B. 20. Kxc8? Wb1+ 21. Wd1 Wf5 und das Matt auf f1 ist nicht mehr zu verhindern. Auch 20. Wc1 Wf5 21. Fd1 Kd8+ sieht nicht wirklich erfreulich für Rot aus.
20. Sg5 Wh6 21. Fd1 Sc6 22. Kf5+ Wf6 23. Kxf8 Wxf8 24. Wd7 Wb1+ 25. Wc1 Wxc1+ 26. Exc1 Wg8 27. Kh9
Ich glaube, hier sind wir beide kurz zusammengezuckt. Ich war durch irgendwas im Raum abgelenkt und habe à tempo die angegriffene Kanone weggezogen, was man auch durch Kxg7 hätte bewerkstelligen können. Damit war aber auch Roberts vorbereiteter Anwortzug hinfällig, zu dem er schon angesetzt hatte.
27.- Kxa4 28. Si5 Ka5 29. Kh3 Kxi5 30. Wf7+ Fe10 31. Ke3
Hier schöpfte ich nochmal kurz Hoffnung, dachte ich doch, dass mich die Idee 32. Wd7 (droht Wd10#) Ff10 33. Wf7+ Fe10 34. Wd7 retten würde. Zum zweiten Mal in der Partie entging mir, dass Schwarz nicht mit dem Feldherrn nach e10 zurück muss. Ich hatte zwar gesehen, dass 33.- Wf8? wegen 34. Kf3 nicht geht, aber 33.- Lf8 war mir entgangen. Robert fand eine andere Möglichkeit, um das Matt zu decken:
31.- Kh5 32. Wd7 Kh10 33. Wxa7 Si6 34. Kg3 Kg10 35. Ece3 Si5 36. Wa5 Pb6 37. Wb5 Pc8 38. We5 Sh5 39. Sg6 Exg6 40. Wxh5 Wd8+ 41. Fe1 Ege8 42. Wh10
Ab hier kann ich nicht mehr mit Sicherheit sagen, wie es weiterging, daher bricht die Partie im Javaapplet an dieser Stelle ab. Der grundsätzliche Fortgang war aber wie folgt: Rot tauscht auf g10, gewinnt dabei einen Elefanten und tauscht später auch noch die c-Soldaten ab. Dann lässt Schwarz die Fesselung auf der siebten Reihe zu, aus der er sich nur unter Wagentausch befreien kann. Vom Gefühl her würde ich sagen, dass wir bis zur nächsten Diagrammstellung wenigstens doppelt so viele Züge gemacht haben wie in der folgenden Kurzfassung:
42.- Wd7 43. Kxg10 Exg10 44. Wxg10+ Lf10 45. Wg8 Pb6 46. Sc5 Sxc5 47. Exc5 We7 48. Wb8 Pd7 49. Wb7 Wf7 50. Ece3 Pe5 51. Wxf7 Pxf7 52. Fd1 Sg6 53. Fd2 Pd8 54. Fd1 Pe6 55. Ld3 Pf4

Klein - Offinger nach 55.- Pf4

Hier musste ich die vorletzte wichtige Entscheidung in dieser Partie treffen: rette ich den Leibwächter d3 oder verhindere ich, dass der Soldat g6 über den Fluss kommt? Als westschachlich geprägter Materialist habe ich mich natürlich für den grundlegend falschen Zug entschieden. Wenn ich mit Ei3 den Soldaten unter Kontrolle halte, dann hätte Schwarz nur mit dem Pferd keine ernsthaften Drohungen mehr aufstellen können. Die Kiste bewertet den Unterschied zwischen Ei3 und Lde2 übrigens mit ziemlich genau zehn Punkten, also ca. dem Gegenwert eines Wagens!

Wenn der Soldat erstmal über dem Fluss ist, dann kann man ohnehin nicht mehr verhindern, dass einem die meisten Verteidigungsfiguren abhanden kommen. Schwarz darf nur nicht ins falsche Endspiel abwickeln, so wie es in der folgenden Diagrammstellung vermutlich schon geschehen war:

Klein - Offinger nach Pd5

Hier zog ich 1. Ld3, um mich nach 1.- Pf4 sofort zu ärgern, weil ich dachte, dass der Leibwächter verloren wäre. Es brauchte schon die Kiste zu Hause, um zu erkennen, dass nach 2. Le2 Pxe2 noch 3. Fe1 geht, da Schwarz die Fesselung in der e-Linie nicht ohne Verlust des Pferdes aufheben kann und Rot somit durch bloßes Hin- und Herziehen des Elefanten remis macht. Aber nach dem ersten Schock hatte ich doch noch einen Lichtblick. Ich erinnerte mich, dass das Endspiel Pferd gegen Elefant remis ist, wenn mein Feldherr und mein Elefant auf entgegengesetzten Bretthälften stehen. Ich zog also 2. Ee3 und konnte danach noch einige Zeit lang zeigen, dass ich wenigstens diese Stellung richtig behandeln kann. Die Pointe besteht vor allem darin, dass nach 2.- Pxd3 3. Eg5 Pe5 4. Fd2 Pf3+ die Gabel gar keine Gabel ist, weil 5. Ee3 alles zusammenhält. Dieses Motiv rettete mir einen unverdienten halben Punkt.

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